Christian Eger, Mitteldeutsche Zeitung, 08.06.10

Und kein Reich komme

baaderholst.jpgHALLE/MZ. Am 23. Juni 1990 besucht der hallesche Dichter Matthias Baader Holst die Werkstatteinweihung des Bildhauers Ernst Petras in Berlin-Neuenhagen. Ein Fest, das bis in die Morgenstunden dauern soll. Nach der Party kehrt der 27-Jährige zurück nach Berlin-Mitte, wo er seit 1988 wohnt. Dann der Unfall: An der Kreuzung von Friedrich- und Oranienburger Straße wird Baader Holst von einer Straßenbahn angefahren. Mit schwersten Kopfverletzungen liefert man ihn ein in die Charité.

Am Morgen des 30. Juni stirbt der Patient im Krankenhaus: ohne Papiere namenlos. Erst jetzt nimmt die Polizei Ermittlungen zur Person auf. Die vorgefundene Einladung nach Berlin-Neuenhagen führt zur Erkennung des Toten, dessen Urne auf dem Gertraudenfriedhof in Halle beigesetzt wird.
Was Matthias Baader Holst am 24. Juni vor 20 Jahren bei sich trug, ist in einer Glasvitrine im halleschen Stadtmuseum zu sehen: eine weißgerahmte Sonnenbrille, ein Armband, eine Schachtel Karo-Zigaretten, eine Packung "Sprachlos"-Zigarillos, drei DDR-Groschen. Letzte Dinge, aus einer Papiertüte geschüttelt, auf der nachträglich der Besitzer notiert werden konnte.

"Matthias Baader Holst (1962-1990)" ist die Ausstellung überschrieben, die unter dem Werkzitat "all die toten albaner meines surfbretts" über "Dada, Punk und Sinnregime" von 1982 bis 1990 Auskunft geben will. Dada, Punk, Sinnregime: Das sind durchaus brauchbare Stichworte zur Diskussion des buchstäblichen Lebens-Werkes von Matthias Baader Holst. Denn Leben ins Leben zu bringen, darum ging es diesem einzigartigen Schriftsteller auch. Man vergisst es viel zu schnell: Das gesellschaftliche und geistige Leben lahmte in der DDR der 80er Jahre doch nur noch traurig, missmutig und sterbenslangweilig vor sich hin - und zwar auf ganzer politischer Linie!
An dieser Linie wurde Baader Holst mit winkenden Armen von der halleschen Provinz aus überregional sichtbar als Szenespießerschreck. Ein - jawohl! - humanistischer Anarch ("laß das mit dem mensch-sein lerne bäcker"), der das Spielfeld des honorierten Außenseitertums verließ. Der Zeilen lieferte wie: "Kein Reich komme, kein Wille geschehe". Oder: "die diktatur der verblödung nimmt im hausbuch ihren anfang". Und: "nur ein toter dichter ist ein guter produktionsarbeiter". Einzigartig insofern, als Baader Holst eben kein szene-typischer Schreib- und Lesetischschriftsteller war. Keiner, der um die Anerkennung der Szene- oder DDR-Literatur-Elite buhlte, sondern der ein Wortaktionskünstler war - auf eigene Rechnung!

Einer, dessen Dichtung sich erst im spontanen öffentlichen Vortrag erfüllen sollte. Im Gestus von Stimme, Körper und Kostüm. Dieser großgewachsene Junge: schlank, schlaksig, kahlköpfig, mit haarlosen Brauen, immer abrasiert. Sein Berliner Dichterbruder Peter Wawerzinek sah ihn so: "Er steht in Seppelhose. Dicke Hosenträger auf der blanken, haarlosen Hühnerbrust. Wollsocken mit Rhombenmuster. Löchrige Leinenturnschuhe. Blindenbrille. (...) Jede Maskerade umwerfend, selten, schön."

1962 in Quedlinburg geboren, wächst Matthias Holst - der sich mutmaßlich nach dem RAF-Terroristen Andreas Baader den Beinamen zulegte - erst in Gernrode, dann in Halle auf. Baufacharbeiter-Lehre, Briefträger, Hilfskraft im Zeitschriftenlesesaal der Universität Halle. Engagement in der Jungen Gemeinde Halle-Neustadt, Wohngemeinschaften, erste literarische Aktionen. 1983 Totalverweigerung des Wehrdienstes, 1984 in die Bereitschaft zum Bausoldatendienst umgewandelt. Von Mitte der 80er Jahre an arbeitet Baader Holst mit dem Dichter Peter Winzer an Untergrundzeitschriften. 1988 Erneuerung der Totalverweigerung, ärztliche Befreiung vom Wehrdienst, Übersiedlung nach Berlin, wo er fortan mit dem 1954 geborenen Dichter Peter Wawerzinek unterwegs ist: als Außenseiter des Prenzlauer Berg-Außenseitertums.

"Das Desinteresse" heißt denn auch Wawerzineks Buch der Erinnerung an Baader Holst: gemeint ist das Desinteresse von Seiten der Ostberliner Szene her. Wawerzinek: "Der Untergrund ist nicht frei (...) Auf den Leibern der Gruppenmitglieder hat nur der Szenekönig selbst getanzt, sich ausgetobt."
Baader Holst und Wawerzinek gehen ihre eigenen Wege: zwei Dichter ziehen über Land, den Proviant stets im Hebammenkoffer. So sehen wir Matthias Baader Holst auch auf den in der Schau plakatierten Schwarzweißfotos: in großen Posen als Clown oder Häftling, nackt auf einer Treppe, in Volkspolizistenuniform 1990 auf dem halleschen Marktplatz. Was die Ausstellung zu zeigen hat: Vokabelhefte, voll von Gedichten. Künstlerbücher, Untergrund-Editionen, Fahrscheine und Manuskripte. Man geht durch die von Moritz Götze und Peter Lang kuratierte Ausstellung wie durch eine Vergangenheitskühlhalle. Angefüllt von dröhnender Stille. Denn selbstverständlich ist es zu früh für eine Musealisierung dieses Dichters, zu dem die ausgestellten Berichte von Stasi-Zuarbeitern mit Decknamen wie "Dorstewitz", "Faust" oder "Elliot" ihre dienstbereite Meinung hatten.
Zu einem Autor, der seine Zeit abbildete: "wir soffen rauchten und waren unglücklich / unsere kinder zeugten wir stets im stehn / immer zwischen 7 und 10 / so vergingen unsre tage / wer an etwas glaubte wurde erschossen". Und der seine Zeit durchschaute: "(ob harich oder havemann bloch biermann oder bahro: immer ausgestoßne privilegierte nie ausgestoßne merke: christa und markus wolf merke: mielke: eine meinungsverschiedenheit innerhalb ,der staatssicherheit'): sie ist das privileg aller: das privileg ist sprache: verschweigen: ausmerzung". Das sind keine kichernden Zeilen. Und bis heute gültig wie dieser Vers: "die ratten schrubben das sinkende schiff".

Stadtmuseum Halle, Große Märkerstraße 2: bis 30. Juli, Di-So 10-17 Uhr

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